Wiederkehrende Hinterhandlahmheit – Symptom mit erschreckend vielen möglichen Ursachen – von leicht bis katastrophal

Und es gibt doch Wunder

Fall 1. – Osteolytischer Spat

Eine Kundin hatte sich ihr “Lieblings-” Schulpferd gekauft. Zu Schulpferde-Zeiten war das Pferd auf allen vier Hufen beschlagen, da es auf der Hinterhand immer mal wieder ungleich lief. Mit Eisen war das Problem kaum bis gar nicht zu sehen.

Die Besitzerin wollte gerne auf die vier Eisen verzichten und ließ die Eisen nach Absprache mit ihrem Schmied entfernen. Das Gangbild verschlechterte sich etwas und das Pferd trat mit einem Hinterhuf deutlich kürzer.

In der Erstbehandlung fielen mir unter anderem ein deutlicher Beckenschiefstand und eine Blockade des Kreuzdarmbeingelenks auf.

Nachdem die Muskelverspannungen und Blockaden gelöst waren, behandelte ich zusätzlich alte Traumata. Anschließend zeigte sich ein sehr viel besseres Gangbild. Das Pferd konnte wieder locker durch den Körper schwingen. Für eine kurze Zeit hielt sich das Gangbild, dann begann das Pferd erneut auf der betroffenen Hinterhand zu lahmen.

In der Folgebehandlung nach ungefähr vier Wochen stellte ich fest, dass sich die verkürzte Vorführphase stärker zeigte und der Beckenschiefstand, die Blockade des Iliosakralgelenks und die Fehlspannung der Hinterhandmuskulatur erneut auftraten. In dieser Behandlung lag mein Fokus vermehrt auf der Hinterhandmuskulatur und auf der Schultergürtelmuskulatur.

Nachdem der Muskeltonus zum Ende der Behandlung sehr viel geringer war, stand das Pferd wackelig und unsicher, wenn eine Gliedmaße angehoben wurde. Als das Pferd im Schritt angeführt wurde, schwankte es für drei Tritte stark und zeigte eine starke Stützbeinlahmheit der betroffenen Hinterhand. Daher empfahl ich eine Lahmheitsdiagnostik vor Ort oder in der Klinik.

Tritt nach der osteopathischen Behandlung keine Besserung oder sogar eine Verschlechterung ein, ist es ein Fall für Tierarzt bzw. Klinik.

Das Fluchttier Pferd kann viel und lange kompensieren, um irgendwie laufen (und somit flüchten) zu können. Werden solche Blockaden und Verspannungen gelöst, kommt das darunterliegende Problem zum Vorschein.

Der Befund der Klinik war niederschmetternd: Osteolytischer (knochenabbauender) Spat im Sprunggelenk und der Rat, das Pferd in absehbarer Zeit einzuschläfern.

Die Besitzerin entschied sich dagegen. Das Pferd wurde wieder auf allen vier Hufen beschlagen und bekam durch die Klinik eine knochenaufbauende Behandlung. Es ist eines der wenigen Pferde, bei denen diese Behandlungsmethode Erfolg hatte.

Fazit: Bei diesem Pferd belasse ich eine gewisse Muskelspannung in der betroffenen Kruppen- und Hinterhandmuskulatur, weil dadurch das geschädigte Gelenk stabilisiert wird. Es kann trotz des Befundes immer noch schmerzfrei laufen und schonend geritten werden.

Wunder gibt es – immer mal wieder

Wunder gibt es – immer mal wieder. Sie sind aber die Ausnahme, die die Regel bestätigen. Wenn Klinik und/oder Haustierarzt empfehlen, ein Pferd einzuschläfern, muss man sich damit zumindest sehr ernsthaft auseinandersetzen. Diese Verantwortung tragen wir alle als Tierhalter, so schwer es manchmal sein mag.

Fall 2. Betriebsblind – das naheliegende Problem ist nicht immer die Ursache

Die Stute einer Kundin knickte in der Aufbauphase gelegentlich in der Hinterhand ein. Zur damaligen Zeit war die Stute sehr unruhig und berührungsempfindlich. Ich vermutete, dass sich das Einknicken mit dem Aufbau der Hinterhandmuskulatur verbessern würde.

Mehr als zwei Jahre später sah ich das Pferd in einer Behandlung wieder. Die Besitzerin erzählte, dass die Stute eine Hornsäule an dem Huf der rechten Hinterhand hat, die langsam herauswächst. Der Schmied unterstützt die Problematik mit einem entsprechenden Beschlag.

In einer weiteren Behandlung erzählte die Besitzerin, dass die Stute das rechte Hinterbein sehr oft entlastet und beim Bergabgehen oder -reiten die rechte Zehe schleifen lässt. An der Longe im Trab links herum trat das rechte Hinterbein deutlich kürzer als das linke. Rechts herum war die Lahmheit kaum sichtbar. Die Besitzerin erklärte, normalerweise dauere die Aufwärmphase im Schritt bei dieser Stute 20 Minuten und danach liefe sie taktrein.

Während der Gelenkbefundung fiel mir auf, dass das Sprunggelenk rechts sich anfangs weniger beugen ließ als das linke Sprunggelenk. Hielt ich das rechte Hinterbein einen kurzen Moment in der gebeugten Position, ließ es sich etwas weiter beugen.

Nach der Behandlung war keine Veränderung im Gangbild zu sehen. Da ich an einem Wochenende bei diesem Pferd war, besprachen wir, dass die Besitzerin das Pferd am Folgetag noch einmal an der Longe traben lässt. Wenn die Lahmheit unverändert oder stärker wäre, sollte ein Tierarzt hinzugezogen werden.

Der Röntgenbefund ergab einen großen Chip im Sprunggelenk, der operativ entfernt werden musste.

Bisher wurde die Hangbeinlahmheit hinten rechts immer auf die Hornsäule geschoben. Das war auch mein erster Ansatz, weil es zu dem Gangbild passte. Wenn man ein Pferd mit so einem Problem regelmäßig sieht, wird man ganz leicht betriebsblind.

Der Chip als Ursache war in diesem Fall allerdings das deutlich angenehmere Problem, weil der sich viel leichter entfernen lässt als eine Hornsäule. Letztere kommt häufig wieder und muss zeitlebens kontrolliert werden. Das muss die Hornsäule dieses Pferdchens zwar auch, sie macht aber zumindest bisher noch keine Probleme. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Pferdchen noch eine längere Reitpferdekarriere vor sich hat, ist so deutlich höher.